Wie war das noch mit „Schule neu denken“?
Die Fachvertretung des Schulfaches Geographie hat sich seit nunmehr 110 Jahren – seit der Gründung des Fachverbandes VDSG im Jahre 1912 – ebenso unverdrossen vehement wie argumentationsreich, aber letztlich erfolglos für eine Stärkung des Schulfaches Geographie eingesetzt. Ziel war es, in allen Klassenstufen und Schularten zwei Unterrichts-Wochenstunden zu erhalten. Das ernüchternde Ergebnis kann in den Stundentafeln der Schulen nachgelesen werden: Mal zwei Stunden, mal eine, mal Klassenstufen völlig ohne Geographie, mal Geographie integriert in ein Integrationsfach Gesellschaftslehre, in der Regel im Verbund mit Gemeinschaftskunde/Politik und Geschichte. Aber auch das Integrationsfach ist in der Schulwirklichkeit schwammig: Mal werden die drei Fächer Gemeinschaftskunde/Politik, Geschichte und Geographie in einem Fach „Gesellschaftskunde/Gemeinschaftskunde/Geschichte“ ohne weitere Unterscheidung unterrichtet, mal werden sie in den Schuljahren zeitweise getrennt unterrichtet, dann wieder firmieren sie getrennt als Geschichte und/oder als Gemeinschaftskunde und Geographie. Geschichte hat oft Priorität. In manchen Bundesländern ist den Schulen die Aufgabe zugewiesen, Inhalte und Stundenverteilung selbst auf der Grundlage von einem gemeinsamen Stundenpool zu erarbeiten.
Die Vertreter der drei Fächer haben sich zuletzt in der „Würzburger Erklärung“ aus dem Jahre 1995 grundsätzlich gegen diese fachliche Vermengung gewehrt und für jedes Fach Eigenständigkeit und Zweistündigkeit gefordert – nicht um der Lehrpersonen willen, sondern weil jedes Fach für sich den je spezifischen Bildungswert, seine Inhalte und Kompetenzen für den künftigen Bürger für notwendig und wesentlich erachtet. Bei Nachfragen unterstützte die Öffentlichkeit diesen Anspruch der Fächer mit Mehrheit – der zwar länderweise, aber insgsamt doch weitgehend ohne Resonanz bei den Kultusbehörden blieb. Für die Schulgeographie ergab sich daraufhin schließlich, was diese Website überschreibt: „Geographische Bildung tut Not!“
Von Seiten der organisierten wissenschaftlichen bzw. schulischen Geographie scheint man sich abgefunden zu haben. Von Protesten oder gar aktuellen Anregungen, die auf eine Änderung des Status quo zielen, ist kaum etwas zu spüren. Die Geographiedidaktik hat eine Anregung gegeben, über das Fach in der Schule unter vielerlei Aspekten zu reflektieren. Ergebnisse sollen in verschiedenen Arbeitsgruppen erarbeitet werden und in zehn Jahren (gerechnet von 2021) vorliegen: „Road Map 2030“. Geht’s noch?
Die wissenschaftliche Geographie arbeitet weiterhin mit Elan in ihrem universitären Elfenbeinturm. In der DGfG wurden schon um die Jahrtausendwende Anstöße gegeben, endlich vermehrt in die Öffentlichkeit hinein zu wirken. Beim International Geographical Congress im Jahre 2012 in Köln wurde die deutsche Geographie öffentlich von der International Geographical Union dazu aufgefordert, zur Stärkung des Faches mehr Präsenz in der Öffentlichkeit zu zeigen. Alles das wurde aber weder ernsthaft erhört noch überhaupt ernst genommen. Erst Ende 2021 hat der Verband der Geographen an deutschen Hochschulen nunmehr erneut mit großem Erstaunen festgestellt, dass die Öffentlichkeitsarbeit der Geographie im „Jahrhundert der Geographie“ entwicklungsfähig sein könnte.
Wenn schon von Seiten der KMK das Fach Geographie in den gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenbereich zusammen mit Geschichte und Gesellschaftswissenschaften/Politik geschoben wurde, so sollte doch vielleicht mehr als 60 Jahre nach dieser kultusbehördlichen und heute immer noch gültigen Entscheidung mal darüber nachgedacht werden, ob geographische Inhalte, Methoden und Denkweisen nicht vielleicht doch innerhalb eines gesellschaftswissenschaftlichen Faches ein gesichertes „Zuhause“ in der Schule hätten:
„Bislang fehlt es allerdings an einer hinreichend ausgearbeiteten und zwischen den beteiligten Fächern breit akzeptierten theoretischen Grundlage für ein vollständig integriertes gesellschaftswissenschaftliches Fach. (…) Das zentrale Problem, das sich hierbei stellt, ist die Frage, wie die disziplinäre Vielfalt der beteiligten Fächer zur Grundlage eines multiperspektiven Integrationsfaches gemacht werden kann, ohne dass es in der Praxis zur Dominaz nur eines dieser Fächer oder zu fachlichem Dilettantismus kommt. (…) Globalisierung oder Friedenspolitik [können] ohne jeden Bezug auf historische und geographische Apekte nicht sinnvoll bearbeitet werden. Umgekehrt wäre ein Geschichts- oder Geographieunterricht, der politische Perspektiven völlig ausblenden würde, fachlich nicht verantwortbar.“ (Wolfgang Sander)