Seit PISA2000 sind Bildungsstandards das weitgehend unwidersprochene Nonplusultra der Bildungspolitik. In den „Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss für das Fach Geographie“ – die von der DGfG erarbeitet wurden, aber von der KMK unerwünscht waren – wird festgehalten, dass die Schülerinnen und Schüler geradezu ein komplettes geographisches Fachkompendium können und beherrschen sollen. Welcher Anspruch!
Inzwischen regen sich gegen die Bildungsstandards vorsichtige Mahnungen, aber immerhin. Zum Beispiel:
Im Positionspapier des Deutschen Germanistenverbandes vom Juni 2012 wird angemerkt, dass die „mit dem individuellen (…) Bildungsgang befassten Institutionen – seien es Berufs(fach-)schulen, Betriebe oder die gymnasialen Oberstufen (…) – keineswegs automatisch voraussetzen“ können, dass „die Absolventinnen und Absolventen der Sekundarstufe I im vollen Maße über die Kompetenzen verfügen, wie sie in den Standards beschrieben werden.“
(Aus der Festrede zur Feier des 100. Gründungstages des VDSG in Gotha, siehe hier unter „Für eine starke Geographie“).
Aber auch schon früher gab es – entgegen dem Mainstream, deswegen wenig oder gar nicht beachtet – mahnende Stimmen:
Unbekümmert um die Fragwürdigkeit monokausaler Erklärungsmuster hielt im Sommer 2002 die Forderung nach der Entwicklung und Implementierung nationaler Bildungsstandards Einzug in den bildungspolitischen Maßnahmenkatalog der Kultusministerkonferenz. (…) Die Forschungen der letzten drei Jahre scheinen die Skepsis gegenüber der kurzfristigen und mit unrealistischen Hoffnungen befrachteten Einführung von output-orientierten Bildungsstandards zu erhärten (…). Die positiven Prognosen stellen sich bisher als unbewiesen (…) heraus, während Nebenwirkungen wie das teaching to the test und didaktische Reduktion, auch die Marginalisierung nicht standardisierter Schulfächer zunehmend als Problem erkannt werden.
(Schneider, Barbara: Bildungsstandards. In: Dzierzbicka, Agnieszka, und Alfred Schirlbauer (Hg.): Pädagogisches Glossar der Gegenwart. Von Autonomie bis Wissensmanagment. Wien 2006, S. 31-38)
Leider vermeidet auch die Geographie-Didaktik die kritische Auseinandersetzung mit dem Bereich Bildungsstandards. Stattdessen werden die Bildungsstandards Geographie geradezu trotzig an alle bildungspolitisch bedeutsamen Adressen und auch im Ausland als besonders positives Ergebnis deutscher geographiedidaktischer Forschung verteilt. Auf meine Hinweise auf die Fragwürdigkeit der Bildungsstandards – wie sie heute verstanden werden – und der Notwendigkeit der kritischen Reflexion über sie reagierte die deutsche Geographiedidaktik beleidigt und stur.